Snooker Weltmeister Mark Selby und Legende Steve Davis begeistern 600 Zuschauer auf dem Mallendarer Berg | Das Publikum hält den Atem an, die Stille ist greifbar. Jedes noch so dezente Räuspern wird unterdrückt, notfalls sogar so lange, bis das Gesicht knallrot anläuft und die Augen tränen. Elegant schmiegt sich derweil Mark Selby, Snookerweltmeister von 2014, an den grünen Filztisch, er lotet seine Möglichkeiten aus. Dabei hat er im Grunde genommen nur eine: Er muss die letzte verbliebene Kugel versenken, ganz egal wie.Immer wieder legt er seinen Queue zwischen Daumen und Zeigefinger, doch zum Stoß kommt es nicht. Noch nicht. Selby nimmt sich Zeit, viel Zeit. Dieser finale Zug muss gründlichst überlegt sein, das verlangt allein schon der Perfektionismus in ihm. Dann macht es plötzlich „Klick“, wie an einer Schnur gezogen bahnt sich die Kugel ihren Weg. Kein Hoppeln, nichts, einfach nur eine fließende Bewegung von A nach B. Eine halbe, vielleicht maximal auch eine ganze Sekunde später macht es wiederum „Klock“. Die Kugel ist versenkt, der Spuk ist vorbei. Im Tennis-Center Letzelter auf dem Mallendarer Berg in Vallendar, vom veranstaltenden 1. Snooker-Club Koblenz-Mayen in mühevoller Handarbeit detailgetreu zu einer eleganten Snookerarena umfunktioniert, bricht unter den 600 Zuschauern großer Jubel aus. Sie alle sind soeben Zeugen einer absoluten Rarität geworden. Bestenfalls alle paar Lichtjahre gibt es in einer Partie zwei Maximum Breaks von ein und derselben Person zu bestaunen. Gemeint ist damit das perfekte Spiel, bei dem der Spieler alle roten Kugeln im Wechsel mit der schwarzen locht, ohne dass der Gegner an den Tisch kommt.

Selbst Moderator Rolf Kalb, seit knapp drei Jahrzehnten die Stimme des deutschen Snookers und zu keiner Zeit um einen lockeren Spruch verlegen, verschlägt es für einen kurzen Moment die Sprache, ehe er, noch immer ganz perplex vom Gesehenen, ins Mikro stammelt: „Etwas Vergleichbares habe ich in all den Jahren noch nie erlebt. Eine außergewöhnliche Leistung.“ Selby selbst kann sein Glück kaum fassen: „Natürlich ist das ein ganz spezieller Moment für mich. So etwas passiert nicht oft, noch nicht einmal im Training.“ Es ist einfach der Abend des Mark Selby. Jeder Handgriff sitzt im wahrsten Sinne des Wortes. Seinem Kontrahenten, dem sechsfachen Weltmeister Steve Davis, lässt er im spannungsgeladenen Showduell der beiden Snooker-Giganten vor ausverkaufter Kulisse nicht den Hauch einer Chance. In Rekordzeit arbeitet der Brite zunächst die ersten beiden Frames (Sätze) ab und verhöhnt dann auch noch seinen Landsmann, indem er das Turnier ob seiner haushohen Überlegenheit kurzerhand nach einer knappen halben Stunde für beendet erklärt und gehen will („Can I go now?“). Aber natürlich bleibt Selby und spielt weiter. Schnörkellos, direkt, ohne großen Tamtam bringt er die Kugeln reihenweise in die dafür vorgesehenen Löcher, den sogenannten Taschen, unter. Sein Blick ist hochkonzentriert, seine Stöße sind geprägt von einer schier unglaublichen Präzision. Emotionen lässt „The Shark“ (der Hai) in diesen Momenten nicht zu.

Doch der 31-Jährige kann auch anders. Dann nämlich, wenn er seinem zweiten Spitznamen „The Jester from Leicester“, also der Spaßvogel aus Leicester, alle Ehre macht. Wie ein kleiner Junge albert er nun herum, stampft mit seinem Queue auf den Boden, animiert das Publikum und den Schiedsrichter immer wieder zu Blödeleien. Steve Davis lässt sich von alledem nicht beeindrucken, mit stoischer Gelassenheit nähert er sich dem Tisch. Snooker ist sein Leben, das kauft man ihm auf Anhieb ab. Sein zugegebenermaßen ohnehin schon lichtes Haupthaar hat seit seinem ersten Abstecher in Vallendar vor genau einem Jahr ein paar weitere kahle Stellen dazubekommen. Es sei ihm verziehen, schließlich ist der gute Mann schon 57 Jahre alt. Doch wenn er mit seinem Queue zur Tat schreitet, spielt sein Alter ohnehin keine Rolle mehr. Er ist jung geblieben, wirkt dynamisch, frisch. Noch immer schauen die „Rookies“, also die jungen Wilden der Snookerszene, zu ihm, den alle nur ehrfürchtig „The Legend“ nennen, hinauf. Wie aus dem Ei gepellt kommt er daher. Weißes Hemd, smarte Weste, schwarze Fliege. Snooker ist eben auch der Sport der Gentlemen.

Mit seinem Charme füllt Davis mühelos den ganzen Raum aus. Seine riskante Spielweise unter Einbeziehung der Banden kommt beim Publikum gut an. Als er einen ausgefeilten Trickshot mit Bravour meistert, ist er sogar von sich selbst ein wenig überrascht („Ich wusste gar nicht, dass ich so gut bin“). Seinen einzigen Framegewinn an diesem Abend feiert er schließlich ausgelassen, er ballt die Siegerfaust, tänzelt hin und her. „Die Fans in Vallendar sind einfach fantastisch. Sie lieben den Snooker, haben ihn ins Herz geschlossen. Ich freue mich immer wieder, hier spielen zu dürfen“, sagt Davis.

Die Dialoge zwischen ihm, Selby und Moderator Kalb sind mal bissig, mal spitzfindig oder einfach nur ironisch, um nicht zu sagen sarkastisch. Bestes Beispiel: Davis will die Kugel mal wieder über Bande spielen. Eigentlich ein unmöglicher Zug, davon ist auch Kalb überzeugt. Er zweifelt am Sehvermögen des Briten, bietet ihm seine Brille an: „Ich glaube, die kannst du ganz gut gebrauchen.“ Davis lehnt dankend ab, ganz geheuer ist ihm sein geplanter Spielzug dennoch nicht: „Irgendwie beschleicht mich das unwohle Gefühl, dass ich gerade einen Fehler begehe.“ Nun nähert sich ihm auch Selby, er versucht nachzuvollziehen, was Davis da eigentlich vorhat, lacht dann schelmisch in dessen Richtung: „Ja, mein lieber Freund, ein ziemlich großer Fehler sogar.“ Davis versucht es trotzdem – und versenkt mit seiner unnachahmlichen Leichtigkeit, für die er so sehr geliebt wird. Die Legende hat es eben immer noch drauf.

Von Dennis Smandzich, Rhein-Zeitung, 18. Mai 2015 – Den Originalartikel finden Sie hier!

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